Neues schwules kino linz
Wie schwul war Goethe? Und wie sieht es mit seinen Zeitgenossen aus? Queergelesene Inszenierungen von Briefwechseln, Lyrik und dramatischen Texten an den Orten ihres Entstehens werden durch Interviews mit Literaturwissenschaftlern und Historikerinnen kommentiert. So entsteht ein schillernder, abwechslungsreicher Film, der Genregrenzen sprengt und auf unterhaltsame Weise die Homoerotik und Homosexualität in der Weimarer Klassik beleuchtet.
Es spricht für Praunheims munteren Mix aus Dokumentation, historischem Exkurs und heiter-frivolem Re-enactment, dass er sich bei aller Spekulation zunächst auf philologisches Terrain begibt.
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Ausgehend von der Studie »Warm Brothers — Queer Theory and the Age of Goethe« des US-Germanisten Robert Tobin lässt Praunheim allerlei wissenschaftlichen Sachverstand zu Wort kommen. Was verraten uns beispielsweise die teils lange im Giftschrank verborgenen »Venezianischen Epigramme« über Goethes sexuelle Präferenzen?
Das Jahrhundert sei eine Zeit gewesen, in der sich Männer reihenweise verbal um den Hals gefallen seien, ohne dass dem explizit erotische Bedeutung beigemessen worden sei. Auch die Kulturhistorikerin Annette Seemann spricht von einem eher allgemein toleranten Klima, das sie französischen Einflüssen auf den Hof Karl-Augusts zuschreibt.
Der Medizinhistoriker Florian Mildenberger hält Goethe dagegen für »polysexuell«, er hätte es »vielleicht auch mit rasierten Affen getrieben. Rosa von Praunheim und seine Co-Autorin Valentina Schütz fächern ein Personenspektrum auf, das vielleicht etwas zu breit ist, um genauer auf einzelne Beziehungen einzugehen: von Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg, der sich gern in Frauenkleidern zeigte »Von heute aus betrachtet Am Rande wird die lesbische Liebe zwischen Adele Schopenhauer, der Schwester des Philosophen, und Sibylle Mertens, die einen »rheinischen Salon« unterhielt, erwähnt.
Jahrhunderts beginnende Kriminalisierung und Pathologisierung von Homosexualität gegeben hat, wie Paul Derks behauptet, sei dahingestellt. Praunheims Projekt verleugnet nicht seinen Workshopcharakter. Deftige Spielszenen im Weimarer Park an der Ilm vor amüsierten Schüler- und Passantenscharen, sind locker mit den wissenschaftlichen Exkursen zusammengeschnitten.
Alle Mitwirkenden stellen sich dem Zuschauer vor, bevor sie als Experten oder Schauspieler zu Wort kommen. Das mag bisweilen betulich wirken, erinnert aber wohltuend an Zeiten, als TV-Dokumentationen noch keine musikunterlegten Spektakel waren. Bald laufen sie verkleidet durch die Stadt und zitieren Goethes "Faust": Die "schwulen" Stellen, an denen sich Mephisto über appetitliche Jünglinge delektiert.
Fast stöhnen sie den Text, sodass er schön anzüglich und dreckig wirkt. Zu viel für die Ohren einiger bildungsbürgerlicher Touristen, die sich irritiert von der Performance abwenden. Es ist dieses Buch, das am Anfang des Interesses von Rosa von Praunheim steht, einen Film über diese Zeit und ihre Protagonisten zu machen.
Von Praunheim, mittlerweile sechsundsiebzig Jahre alt, ist selbst eine schwule Ikone und hat mit seinen provokanten, trashigen, lustigen Avantgarde-Filmen viel zur politischen Schwulenbewegung beigetragen. Goethe hätte ihn eigentlich immer eher gelangweilt, erzählt von Praunheim, gerade wegen dem Klatsch über seine Frauengeschichten.
Von Praunheim steckt seine Schauspieler in historische Kleider, lässt sie Goethe, Schiller und andere spielen und in der Sommerhitze - man kann ruhig sagen: reichlich schwul - durch Weimar flanieren. Schriftsteller wie Goethe und Friedrich Heinrich Jacobi schreiben sich zuneigungsvolle Briefe, und Schillers letztes, unvollendetes Stück, "Die Malteser", handelt von zwei sich liebenden Rittern im Kampf gegen die Türken.
Goethe selbst entdeckt die Liebe zwischen Männern auf seiner Reise in Italien. Hier starb auch der Begründer der modernen Kunstwissenschaften, Johann Joachim Winckelmann, der sich für die Schönheit antiker Knaben begeistern konnte, durch die Hand eines Mannes. Begleitet wird das alles von Interviews mit Experten, die auf teils sehr spezielle Art vor Verallgemeinerungen warnen: Polysexuelle hätten es zu dieser Zeit auch mit rasierten Affen getrieben, meint ein Historiker.
Das späte achtzehnte, frühe neunzehnte Jahrhundert sei eben das Jahrhundert "des glücklich vögelnden Mannes" gewesen. Der hätte sich in erster Linie den Frauen gewidmet, andere Männer aber auch nicht gerade verachtet: Zur Pathologisierung der Homosexualität kam es ja erst viel später.
Auch die Schauspieler diskutieren: Waren Leute wie Goethe nun "schwul" nach heutigem Verständnis? Und macht das einen Unterschied?